Gehirn mit Zahnrädern und Kapseln für Nahrungsergänzung

ADHS bei Erwachsenen – und der Einfluss der Ernährung

Das Gedankenkarussell dreht sich unaufhörlich, die To-do-Liste bleibt unberührt, und der Griff zu schnellen Snacks passiert fast nebenbei. Für viele Erwachsene mit ADHS ist das kein seltener Ausnahmezustand, sondern Alltag. ADHS (Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung) endet nicht einfach mit der Kindheit – sie zeigt sich im Erwachsenenalter nur oft anders, bleibt aber genauso herausfordernd.

Schätzungsweise etwa 1-2,5% der Erwachsenen sind von ADHS betroffen (Sobanski & Alm, 2004). Immer häufiger werden auch Erwachsene erstmals mit ADHS diagnostiziert – und die Erkenntnis, dass nicht Faulheit oder Disziplinlosigkeit die Ursache für etwaige Schwierigkeiten in Bezug auf den Ernährungsalltag darstellen, sondern eine neurobiologische Besonderheit (zu 65-90% übrigens genetisch vorprogrammiert) dahintersteckt, kann für Betroffene eine enorme Entlastung bedeuten.

ADHS bei Erwachsenen - eine bunte Welt

ADHS und die Herausforderungen

Viele Menschen mit ADHS spüren die Auswirkungen der Neurodivergenz in mehreren Lebensbereichen: Beruf, Alltagsbewältigung, Beziehungen, Stress- und Gesundheitsmanagement. Zwar weisen die Ergebnisse der epidemiologischen Studien teilweise eine sehr weite Streubreite auf, aber es ist dennoch beachtlich und wichtig zu erkennen, dass komorbide Störungen eher die Regel als die Ausnahme sind. Neben Depression und Angststörungen finden sich so auch Suchtproblematiken und Essstörungen in der Liste der mit ADHS assoziierten Gesundheitsprobleme (Kirsch & Haible-Baer, 2024). Gerade im Bereich Essstörungen, bei Binge-Eating oder Picky-Eating (und teilweise im Feld der Suchtproblematik, z.B. wenn es um kompensatorisches Essen geht) kann diätologisch unterstützt werden.

Medikamente, Therapie, Coaching … und Ernährung.

Es gilt als unbestritten, dass die medikamentöse Therapie bei ADHS als wichtiger Eckpfeiler relevant und vor allem funktional ist. Neben medikamentösen und therapeutischen Ansätzen rückt die Bedeutung der Ernährung für die Symptomatik zunehmend in den Fokus der Forschung. Unserer Erfahrung nach sind folgende Themen die Hauptstörfelder, welche einen Einfluss auf die Ernährungsplanung haben können.

  • Blutzuckerspiegel: unregelmäßige Mahlzeiten oder eine erhöhte Zufuhr von Zucker und zuckerhaltigen Getränken führen zu einer regelrechten Blutzuckerachterbahn mit abwechselnd Heißhunger und Völlegefühl
  • Impulskontrolle: extrem Süßes und extrem Salziges kann oft nur schwer kontrolliert werden, das Gefühl des „Nicht-aufhören-Könnens“ ist häufig
  • Ablenkbarkeit und Vergesslichkeit: das Finden passender Routinen ist oft schwierig
  • Rasende Gedanken, Schlafstörungen, Reizbarkeit, Müdigkeit: chronischer Stress fordert den Körper und das Immunsystem
  • Spüren der Körpersignale: die Wahrnehmung von Hunger und Durst ist oft von anderen Gefühlen überlagert, eine regelmäßige Mahlzeitenorganisation fällt dadurch schwer
  • Reizfilterstörung und Abneigungen: das Vermeiden bestimmter Gerüche, Geschmäcker oder Konsistenzen oder einzelner Lebensmittel kann zu unausgewogener Lebensmittelauswahl führen
  • Tendenz zu suchtähnlichem Verhalten und Suchtverhalten: Alkohol, Nikotin und andere Substanzen können einen Einfluss auf Appetit und Sättigung haben und den Nährstoffbedarf beeinflussen
  • Medikamentennebenwirkungen: Appetitlosigkeit, Mundtrockenheit oder Übelkeit können die Nahrungsaufnahme beeinflussen oder in eine ungünstige Richtung drängen
  • Individuelle Unverträglichkeiten: Intoleranzen gegenüber bestimmter Lebensmittel können die Symptomatik verstärken und die Mahlzeitenplanung zusätzlich erschweren
  • Exekutive Dysfunktion: Probleme bei Organisation, Zeitmanagement und Handlungssteuerung erschweren die Planung und Umsetzung von alltäglichen Aufgaben, wie Einkaufen, Kochen oder auch Essen.
  • Nährstoffmängel: Magnesium, Zink, Eisen, Vitamin D spielen eine Schlüsselrolle bei der Bereitstellung von Neurotransmittern und Stimmungsregulation. Omega-3-Fettsäuren sind für Nerven und Gehirnentwicklung relevant. Ein möglicher Mehrbedarf sollte durch adäquate Ernährung oder gegebenenfalls Supplemente gedeckt werden.

Die Ernährung spielt also eine größere Rolle, als es auf den ersten Blick scheint. Denn Ernährung beeinflusst nicht nur den Körper, sondern auch Konzentration, Impulskontrolle und Energielevel. In der Ernährungsberatung und -begleitung werfen wir einen Blick darauf, wie gezielte Ernährungsstrategien den Alltag von Erwachsenen mit ADHS unterstützen können – ohne in einfache „Do’s and Don’ts“ abzurutschen. Denn so simpel ist es nicht.

Forschung zu ADHS und Ernährung

Obwohl die Ernährung allein ADHS nicht heilen kann, zeigt die Forschung, dass sie einen bedeutenden Einfluss auf die Symptomatik haben kann. Eine ausgewogene und bewusste Ernährungsweise, angepasst an die individuellen Bedürfnisse, kann somit einen wertvollen Beitrag zur ganzheitlichen Behandlung von ADHS leisten (Brunnmayr, 2022).  Auch eine an die DASH-Diät angelehnte Ernährungsumstellung bringt nachweislich Benefits (Khoshbakht et al., 2021). Die DASH-Diät wurde ursprünglich als Ernährungsform zur Prävention und Behandlung von Bluthochdruck entwickelt. Sie setzt auf eine ausgewogene, mediterran ausgerichtete Ernährung mit viel Obst, Gemüse, Vollkornprodukten, gesunden und fettarmen Proteinquellen, wenig Salz, Zucker sowie gesättigten Fetten, was nicht nur die Herzgesundheit fördert, sondern durch die stabilisierende Wirkung auf den Blutzucker und die Versorgung mit wichtigen Nährstoffen auch für ADHS-Betroffene förderlich ist.

Aus diesem Grund gelten strikte Diätformen wie die Feingold-Diät oder auch die Hafer-Diät (benannt nach Hertha Hafer, nicht nach dem Getreide) unter Experten als nicht oder wenig empfehlenswert (Fachinformation ADHS Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitätsstörung, 2015). Vor allem für Erwachsene mit ADHS empfinden wir die sehr planungsintensiven und restriktiven Diäten schlicht als nicht praktikabel.

Eine bedarfsdeckende Ernährung stellt also immer die Basis dar. Ist diese nicht möglich oder nicht ausreichend, kann mit Supplementen nachgeholfen werden. Der Einsatz von Omega-3-Fettsäuren wird zum Beispiel auch in der S3-Leitlinie für ADHS explizit angesprochen (Deutsche Gesellschaft für Kinder- und Jugendpsychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie e.V. (DGKJP) et al., 2017), allerdings wird keine generelle Supplementierung empfohlen, da die Evidenz dafür nur moderat ausfällt . Die Leitlinie ist mittlerweile abgelaufen und wird derzeit überarbeitet, aus Mangel an aktuelleren Daten stützen wir uns – ebenso wie therapeutische oder medizinische Experten – weiterhin auf jene evidenzbasierten Daten, die eben zur Verfügung stehen.

Supplemente und Studienlage

Die Supplementierung mit Vitamin D und Magnesium zeigte in einer Interventionsstudie eine erwartungsgemäß bessere Versorgung, aber damit korrelierend auch eine Verbesserung der emotionalen Gesundheit. Eine Veränderung der Hyperaktivität konnte allerdings nicht festgestellt werden (Hemamy et al., 2021). Ebenso konnte der Einsatz von Omega-3-Fettsäuren in einer Studie gute Erfolge verzeichnen (Kean et al., 2017).

In den sozialen Medien kursieren alle möglichen Empfehlungen für Supplemente, und die Basis ist sogar häufig gar nicht verkehrt. Gleichzeitig raten wir, genauer hinzuschauen, welche Produkte schlussendlich empfohlen werden und wo sie zum Kauf angeboten werden. Viel hilft nicht immer viel, und möglicherweise gibt man viel Geld aus für etwas, das keinen, oder noch schlimmer einen negativen Effekt hat. Letztlich gilt es, gemeinsam herauszufinden, welche Optimierungsmöglichkeiten im individuellen Fall genutzt werden können, um die Symptome zu lindern und eine bestmögliche Versorgung sicherzustellen.

Was bietet Ernährungsberatung?

Auf den ersten Blick mag es so wirken, als drehe sich Ernährungsberatung nur um Tipps, die längst bekannt sind und auch in den Medien immer plakativ beworben werden: „Iss mehr Gemüse“, „Verzichte auf Zucker“, „Trink genug Wasser“. Doch in Wirklichkeit steckt viel mehr dahinter – besonders, wenn es um ADHS geht. Wenn es so einfach wäre, eine adäquate Ernährung im Alltag umzusetzen, warum reden dann so viele Menschen davon? Es ist eben nicht so einfach.

Eine qualifizierte Ernährungsberatung ist außerdem keine kurzfristige Diät, sondern sie bietet individuelle Unterstützung, die weit über allgemeine Ernährungsempfehlungen hinausgeht. Sie hilft dabei, mögliche Zusammenhänge zwischen der Ernährung und den spezifischen Symptomen von ADHS und den Problemen bei ADHS zu erkennen und zu verstehen. Nicht jedes Konzept oder Strategie funktioniert für jeden gleich – hier kommt die persönliche Anpassung ins Spiel.

Zudem kann eine Ernährungsberatung:

  • Alltagstaugliche Lösungen bieten: Wie lassen sich gesunde Mahlzeiten auch bei Stress und Zeitmangel integrieren? Unser Ziel in der Ernährungsberatung ist es immer, umsetzbare Strategien zu entwickeln und praxistaugliche Tipps mitzugeben.
  • Versteckte Unverträglichkeiten aufdecken: Oft wird erst durch gezielte Beobachtung und Analyse klar, welche Lebensmittel Symptome verstärken.
  • Nährstoffdefizite ausgleichen: Viele Menschen wissen nicht, dass sie latente Nährstoffmängel haben. Dabei kann ein Mangel an Eisen, Magnesium, Omega-3-Fettsäuren oder Vitamin D die ADHS-Symptome verschärfen.
  • Wissenschaftlich fundierte Informationen bereitstellen: eine fachlich fundierte Ernährungsberatung trennt Fakten von Mythen und hilft, den Fokus nicht zu verlieren. Sie ermöglicht es, auf fundierter Basis Entscheidungen zu treffen.

Neben der aktuellsten Fortbildung von Diätologie Austria haben wir einschlägige Fachliteratur zum Thema studiert und uns Fallbeschreibungen und -berichte von Betroffenen angesehen, um unsere Beratung auf die Bedürfnisse von Personen mit ADHS bestmöglich abstimmen zu können.

Ernährung allein kann ADHS nicht therapieren…
Mag. Ursula Pabst BSc.
Diätologin und Ernährungswissenschaftlerin
in den Praxen 1050 und 1090 Wien
aber sie kann ein Baustein sein, um den Alltag besser zu bewältigen.
Mag. Julia Pabst
Ernährungswissenschaftlerin
in den Praxen 1050 und 1090 Wien

Interesse an einem Erstgespräch?

Ob kurzfristig per Videocall oder persönlich in der Praxis: wir informieren gern darüber, wie wir bei der individuellen Ernährungsoptimierung unterstützen können. Hier geht’s lang…

Quellen:

Brunnmayr, M. (2022). Ernährung bei ADHS. maudrich.
Deutsche Gesellschaft für Kinder- und Jugendpsychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie e.V. (DGKJP), Deutsche Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde e.V. (DGPPN), & Deutsche Gesellschaft für Sozialpädiatrie und Jugendmedizin e.V. (DGSPJ). (2017). S3-Leitlinie ADHS bei Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen (Nos. 028–045).
Fachinformation ADHS Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitätsstörung. (2015). Fachgesellschaft für Ernährungstherapie und Prävention (FET) e.V.

Hemamy, M., Pahlavani, N., Amanollahi, A., Islam, S. M. S., McVicar, J., Askari, G., & Malekahmadi, M. (2021). The effect of vitamin D and magnesium supplementation on the mental health status of attention-deficit hyperactive children: A randomized controlled trial. BMC Pediatrics, 21(1), 178. https://doi.org/10.1186/s12887-021-02631-1
Kean, J. D., Sarris, J., Scholey, A., Silberstein, R., Downey, L. A., & Stough, C. (2017). Reduced inattention and hyperactivity and improved cognition after marine oil extract (PCSO-524®) supplementation in children and adolescents with clinical and subclinical symptoms of attention-deficit hyperactivity disorder (ADHD): A randomised, double-blind, placebo-controlled trial. Psychopharmacology, 234(3), 403–420. https://doi.org/10.1007/s00213-016-4471-y
Khoshbakht, Y., Moghtaderi, F., Bidaki, R., Hosseinzadeh, M., & Salehi-Abargouei, A. (2021). The effect of dietary approaches to stop hypertension (DASH) diet on attention-deficit hyperactivity disorder (ADHD) symptoms: A randomized controlled clinical trial. European Journal of Nutrition, 60(7), 3647–3658. https://doi.org/10.1007/s00394-021-02527-x
Kirsch, P., & Haible-Baer, N. (2024). Therapie-Tools ADHS im Erwachsenenalter: Mit Online-Material (2. Auflage). Julius Beltz GmbH & Co. KG.

Sobanski, E., & Alm, B. (2004). Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung (ADHS) bei Erwachsenen: Ein Überblick. Der Nervenarzt, 75(7), 697–716. https://doi.org/10.1007/s00115-004-1757-9
Vogel, L. (2023). Hirngespinste: Mein Leben mit ADHS (Originalausgabe). KomplettMedia.

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